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Sabine Folie

The word „art,“ etymologically speaking, means to make, simply to make. Now what is making? Making something is choosing a tube of blue, a tube of red, putting some of it on the palette, and always choosing the quality of the blue, the quality of the red, and always choosing the place to put it on the canvas, it’s always choosing. So in order to choose, you can use tubes of paint, you can use brushes, but you can also use a ready-made thing, made either mechanically or by the hand of another man, even, if you want, and appropriate it, since it’s you who chose it. Choice is the main thing, even in normal painting.
Marcel Duchamp

Es ist nicht klar, nach welchen Kriterien Joseph Marsteurer seine Entscheidungen trifft, welche Farbe er beispielsweise an welchem Tag auswählt, um, wie er sagt, „einfach nur Malerei“ zu betreiben. Das Produkt ist „nicht Bild, keine Emotion, jeden Tag fünf Minuten Malerei, nicht mehr“. Die Wahl, zumal der Tube Farbe oder jedes anderen Mittels, das zum Einsatz kommt, wird getroffen, wenn auch „interesselos“, nicht intentional oder gar als bewusste Entscheidung, keine Wahl treffen zu wollen. Der Künstler beschreibt sein Dilemma folgendermaßen: „Das Entscheiden-Müssen und gleichzeitig Nicht-Entscheiden-Können, das ist für mich ein ästhetischer Zustand.“ Duchamp hatte aus der Unmöglichkeit, eine Wahl treffen zu können, die Entscheidung getroffen, sich aus der Malerei zu verabschieden. Die Entscheidung für das Readymade hat die Kunst zweifellos revolutioniert, denn aufgrund des Einsatzes der Tube Farbe, die ein fertiges Produkt ist, ist selbst ein Readymade nun Malerei geworden, so Duchamps Vorschlag. Er beschreibt diesen Zustand der Unentscheidbarkeit, ob das Readymade nun Malerei sei oder nicht, mit dem Terminus Infra-mince: „Unentscheidbar schwebt das ästhetische Urteil [das interesselos gefällt ist, A. d. A.] zwischen zwei Aussagen: ‚Die ist Malerei.’/ ‚Dies ist keine Malerei.’ Dazwischen liegt eine infra-mince Passage, eine indifferente Differenz, etwas, das keinen Namen hat und noch weniger einen Begriff. Die ästhetische Entscheidung ist eine Sache der Erfahrung, die sich jedem begrifflichen Zugriff entzieht.“ Marsteurers Malerei ist in diesem ständigen Infra-mince-Status der Transition und Unentscheidbarkeit von Malerei und Nicht-Malerei. Infra-mince bedeutet der Zwischenraum zwischen der indifferenten Setzung des Künstlers (so nehmen wir einmal an) und der verzögerten Rezeption durch den Betrachter, es bezeichnet den Intervall zwischen einer Benennung, die aber nicht zum Vorschein kommt, und einer Anwesenheit, die vom Künstler nicht beabsichtigt war, aber dennoch vorhanden ist. Der Betrachter vervollständigt, aber nach de Duve ist das, was in diesem Dazwischen passiert oder verloren geht, nicht wieder herstellbar. Selbst wenn also absichtlich keine Entscheidung getroffen wird, gibt es eine bewusste Entscheidung für den Bildträger, die Art des Pinselauftrags, die Technik etc. (auch die Entscheidung für die Art des Readymades ist ästhetischer Natur). Daher will Marsteurer mit seiner Herangehensweise, die man als konzeptionelle Systematik auffassen kann, Kategorien wie Ausdruck oder Gestik entfliehen, indem er das Serielle einführt. Von Bedeutung ist das Moment der Wiederholung, des nahezu rituell, aber automatisch Wiederholten und nicht sosehr das Produkt einer Handlung, das andererseits unmittelbare Folge davon ist. Was damit gemeint ist, kann man den angelegten „Arbeitsprotokollen“ entnehmen oder dem „Archiv“. Beide erinnern an Verfahrensweisen der Minimal Art und der Konzeptkunst. In den Arbeitsprotokollen wird in einem ganz bestimmten Layout, einer genau definierten Typographie in sachlichem Ton festgehalten, zu welcher Uhrzeit was passiert – amtliches Papier, Tagebuch, technischer Bericht, mathematisch-numerologische Überlegung, Notation in einem. Die bemalten „Bild-Rollen“ haben Zeichencharakter, entgegen Marsteurers Intention: Sie bergen ein Potential, falls sie sich in ihrer Rollbild ähnlichen Verfasstheit quasi offenbaren, entfalten dürfen, kein gehütetes Geheimnis, das traditionellen Rollbildern oder Schriftrollen inhärent wäre, sondern vielmehr die Markierungen und Eintragungen, wann welcher Abschnitt mit dem Einsatz von wie viel und welcher Farbe gemalt wurde: Sie bergen die kühl registrierte Dimension der Zeitlichkeit, um nicht zusagen der Erinnerung, des Gedächtnisses in besonders sinnfälliger Weise in sich. Das „Archiv“ ist ein Ablagesystem, formal im Geiste Juddscher minimalistischer Skulpturen, worin die Rollen, auf die die Farbe aufgetragen wird – jeden Tag ein vorher genau definierter bestimmter Abschnitt – nach einem Ordnungsprinzip gelagert sind. Diese Pseudoleinwände, abgelöst vom Keilrahmen, für den sie nie gedacht waren, sind jederzeit aktivierbar zum Zwecke einer Form von Action Painting. Auch hier ist die individuelle Absicht irrelevant, das Thema: die Sprengung des Bildes, des Bildraumes. Pollocks Bild weitet sich in der Imagination aus bis in eine potentielle Unendlichkeit, Marsteurer erweitert den Bildraum tatsächlich, indem er das Bild in einen quasi theatralen Raum ausdehnt, der manchmal auch virtuelle Züge aufweist oder gar anamorphotisch wirkt. Manche seiner Räume haben eine gewisse Affinität zu Bühnenräumen des russischen Konstruktivismus von Meyerhold, Rodtschenko oder zu Raumstudien resp. Ausstellungsräumen wie sie von El Lissitzky (Raum des Abstrakten , 1927/1928 im Provinzialmuseum in Hannover), Herbert Bayer oder Thomas M. Messer (Art of this Century, Guggenheim, 1942-1947) in der klassischen Moderne angeordnet, konstruiert wurden. Ein weiteres Beispiel wäre Richard Hamilton in seiner „Ausstellung“ in der Hatton Gallery, Newcastle upon Tyne, 1957: an Exhibit. An Exhibit ist pures Design. Es entstand mit der Intention, eine Ausstellung ohne Thema, Objekte oder Kunstwerke zu schaffen, eine rein abstrakte Ausstellung, die nur aus dem Design von Wänden und Platten/Tafeln in einem bestimmten Verhältnis, in unterschiedlichen Farben zueinander bestünde – reine Abstraktion. Marsteurer scheint seine Raumkonstellationen in manchen Arbeiten aus dem dreidimensionalen Raum (markiert durch Holzgerüste) in den zweidimensionalen rückzuübersetzen, indem er das ganze Geschehen auf eine Leinwand bannt und das Gerüst zu riesigen Keilrahmen in Erwartung von Leinwänden „verkommt“. Diese eine überdimensionale Leinwand wird wieder zum nahezu traditionellen abstrakten Bild. Figur und Grund verbinden sich zu einem Illusionsraum. „Die letzten radikalen Gemälde, die sich mit dem Figur-Grund-Problem beschäftigten, waren Nolands Kreise in der Zeit um 1960. Die Maler haben die Teleologie von Distanz und bildlicher Tiefe verworfen, als sie den Hintergrund insgesamt verwarfen und Gemälde insgesamt zu Objekten wurden. Dies geschah einige Zeit bevor sie zu Wandobjekten, Bis-zur-Decke-Objekten und Bis-zum-Boden-Objekten aufgeblasen wurden.“ , reagiert Jo Baer auf Judds und Morris’ Totsagung der Malerei. In anderen Situationen „übertreibt“ Marsteurer in die andere Richtung: er verlässt den Bildraum und betritt, wie bereits beschrieben, einen Raum konträrer Empfindungen, weil von widersprüchlicher, unlogischer Verfasstheit. Der Raum wird also zum erweiterten Bildraum, auf den Zeichen eingeschrieben werden, „reine Malerei“ proklamiert der Künstler. Mit der reinen Malerei, wie Michael Fried oder Clement Greenberg sie verstanden wissen haben wollten, hat sie allerdings wenig gemein. Die Bewegung in dem Raum hinein, die performative Züge aufweist, lässt einen genau vermessenen, gut überlegten Raum entstehen, der Virtualität suggeriert. Die Brüche und Imperfektionen darin lassen allerdings Schlüsse auf seine Gewordenheit zu und zwingen die BetrachterInnen damit, ständig zwischen einem illusionistischen Vorstellungsraum und einem realen Raum „umzuschalten“. Hier beginnt die Irritation, gefolgt von Reflexion. Der Grund, weshalb diese Bruchstelle in der Wahrnehmung bewusst herbeigeführt wird, beschreibt Marsteurer folgendermaßen: „Die Ästhetik braucht den Raum des Logischen insofern, als sie die Reflexion braucht. Der Realraum braucht den ästhetischen Raum, weil meines Erachtens jedes Erkennen oder Begreifen im Ansatz ästhetisch ist.“ Dieser transzendentale Ansatz setzt voraus, dass ästhetische Erfahrung Bedingung der Möglichkeit für Erkennen ist. Die ästhetische Erfahrung fordert bei Marsteurer über die reine Wirkung der Farbe hinaus auch eine Denkleistung: wie hängen Raum, Anordnung der Bildträger, von denen es meistens mehrere gibt, zusammen? Im Versuch, einen ästhetischen Totalraum zu schaffen, schleust der Künstler selbst Störmomente ein, die Illusion verweigern und die Elemente, aus denen die monumentale „Bildanordnung“ besteht, fragmentiert und transparent macht. Obwohl die konstruierten Koordinaten die Frage nach Figur und Grund aufgreifen und die Teleologie, von der Baer spricht, wieder aufnehmen, versucht Marsteurer in den räumlichen Anordnungen den „Grund“ als Leerraum vorzuführen, auf den die „Figur“ in kontingenter Weise trifft. Die installative Bildanordnung erhält Objektstatus, wird verräumlicht und unterstreicht, was Michael Fried Donald Judd und seinem Manifest des Minimalismus „Specific Objects“ (1965) vorgeworfen hat: er bringt ein Element in die Kunst ein, das vorher in der „reinen“ Malerei des Abstrakten Expressionismus nicht integraler Bestandteil des Werkes gewesen war, den Betrachter: „Das Eintreten der Literalisten [gemeint sind die Künstler der Minimal Art, A. d. A.] für die Objekthaftigkeit bedeutet nichts anderes als ein Plädoyer für eine neue Art von Theater, und Theater ist heute die Negation von Kunst. Die literalistische Anschauung ist theatralisch zunächst, weil sie die tatsächlichen Umstände berücksichtigt, unter denen der Betrachter literalistischen Arbeiten begegnet.“ Marsteurer bleibt bei der Malerei, er präsentiert uns keine primary structures, aber diese ist nicht zweidimensionale reine, zweckfreie Malerei; sie jongliert zwischen den Erwartungshaltungen an verschiedene Medien aus den Erkenntnissen, die die Avantgarde der Moderne und der Postavantgarde der 1960er und 1970er Jahre gewonnen hatte, hin und her, nur, um sie zu enttäuschen und versucht sich aus der allusiven Bildhaftigkeit zu verabschieden, aber gleichzeitig einen fiktionalen Raum zu generieren. Am genuinsten funktioniert der Bildraum dort, wo die Medien noch nicht in ihre einzelnen Teile, Texturen, archivierten potentiellen Rollbilder zerfallen sind, sondern alle Fragestellungen auf einer Leinwand samt Gerüst darum herum vereinen, wie dies bei projekt 04/05 der Fall ist. Eine überaus erfrischende Antwort auf das Bild und das Thema der Autorschaft ist schließlich die collection physique: Stofftücher, auf die Farbflecken nach einem ausgeklügelten System des Zufalls gemalt werden. Diese Tücher werden Servietten ähnlich fein säuberlich gefaltet, inventarisiert und mit einer Papierschleife versehen, worauf in eleganter Typographie collection physique. eine Ansammlung von Farbflecken zu lesen ist – einsatzbereit für allerlei Situationen des täglichen Lebens: mal hängen sie wie ein Küchentuch an der Wand, mal liegen sie auf einem Tisch, sind zerknäuelt in einem Wühlkorb in einem Kaufhaus, dienen als adrette Unterlage für Nippes oder Geschirr oder liegen fein ordentlich im Schrank. Manchmal hängen sie auch wie Bilder an der Wand.

Lucas Gehrmann

Wann ist ein Bild? Vorbemerkungen zur analytisch-synthetischen Praxis Joseph Marsteurers zur Erstellung einer neuen Ästhetischen Theorie

Im Winter 2004/05 lud mich Joseph Marsteurer in eine aufgelassene Mödlinger Kirche zur Besichtigung seiner neuesten Arbeit ein – ein über 14 Meter langes „Tafelbild“, das an ein parallel zu den polygonalen Stützen des Raumes stehendes Holzgerüst schräg angelehnt am Boden stand. Das Licht fiel durch die Fenster der Südwand des Gebäudes direkt auf das Bild – und durch dieses hindurch, wenn man es vom Mittelschiff der Halle aus in leicht gebückter Körperhaltung aus betrachtete bzw. abschritt. Von hier aus zeigte es sich nicht etwa spiegelverkehrt, sondern als eigenständiges und jedenfalls anderes Bild. Zwar schlugen einige breite Pinselstriche, schwarze Linien und textliche Bezeichnungen auf die „Rückseite“ durch, doch darunter/darüber lagen weitere Bildelemente, die von „vorne“ nur bei genauem Hinsehen zu erkennen waren. Im Kontext des mit verwitternder Seccomalerei ausgestatteten Gebäudes dachte ich zunächst an eine Referenz an Palimpseste, also jene einst kostbaren Bildträger aus Pergament, die von klösterlichen Werkstätten im Zuge des Wandels des „Zeitstils“ mittels Abschabens ihres jeweiligen Vorgänger-Bildes neu „illuminiert“, also bemalt werden konnten und die wir heute technologisch weitgehend rekonstruieren können, da sie sich in die Tierhaut doch unwiederbringlich eingeschrieben haben1 und somit Verwandtschaft aufweisen zum wächsernen „Wunderblock“, wie ihn Sigmund Freud als Metapher für das Gravieren von Erinnerung in das menschliche Gedächtnis (ins Unterbewusstsein) benutzt hat. Marsteurer hatte seine Leinwand allerdings weder abgeschabt noch überzeichnet, sondern er legte mehrere transluzide Bildträger (Baumwolle) übereinander, so dass im Licht von vorne primär die oberste Schicht, im Licht von hinten zugleich die anderen Schichten sichtbar wurden. So interessant ich diese Möglichkeit einer Behandlung der Frage nach der Speicherung von „Zeit“ bzw. „Zeichen“ auch empfand, so rätselhaft blieb mir zunächst das auf diese Schichten „Gezeichnete“: ein Mix aus gestisch-„virtuoser“ (mehrschichtiger) Malerei, rein geometrisch-konstruktivem „disegno“ und marginal vermerkten Daten zu Maßeinheiten und Farb-Mischungen. Das 14,5-Meter-Bild hatte für mich zwar zweifellos eine „Ästhetik“ sowohl der Oberfläche(n) als auch als Installation im Raum, doch zeigte sich diese Ästhetik äußerst widerborstig gegenüber gewohnten Sehweisen, die nach formalen oder inhaltlichen Bezügen, Kommunikationen oder Kontrapositionen der Bild-Zeichen suchen. Marsteurers Zeichen sind hier zwar neben- und übereinander vereint durch ihre Bildträger, zugleich aber, sich gleichsam selbst genügend, voneinander isoliert, weil sprachlich untereinander inkompatibel: die Geometrie zieht ihre Geraden mit linear-rationaler Bestimmtheit über die Fläche (ohne die Logik ihrer Funktion erkennen zu lassen), der Gestus brilliert mit farblich-sinnlichen Reizen (ohne einen inhaltlichen oder „rein“-malerischen Zusammenhang preiszugeben) und die Statistik überzeugt durch akkurate farbliche und indexikalische Wert-Angaben (ohne näher mitzuteilen, worauf sie sich bezieht). Und in ebenso „selbstgefälliger“ Autonomie wie die Sprach-Zeichen sich auf der Bild-Tafel versammeln, steht diese in dem sie umgebenden Raum: in ihrer Mehrschichtigkeit berichtet sie wohl etwas über prozessuale, zeitliche Abläufe und über ihre Bedingtheit durch das Licht, den Raum und den Standort-/Sicht- und Blickwechsel ihrer Betrachter, macht sich aber in keiner Weise abhängig von ihrer spezifischen (in-situ-) Umgebung. Sie „funktioniert“ in einem White Cube mit Kunstlicht genauso wie in einem patinierten Gemäuer mit Tageslicht-Variationen. „Funktioniert“ heißt: das Bild/die Installation erzählt uns zwar keine Geschichte(n), aber es „zählt“ uns anschaulich auf, welche Ingredienzien ein Bild enthält und wer oder was sich wie von außen beteiligt/kontextualisiert, um ein Bild als solches „sichtbar“, lesbar, interpretierbar, zum Kunstwerk erklärbar … zu machen – kurzum: Joseph Marsteurer arrangiert auf einem Bildträger Ergebnisse einer umfassenden Analyse des Bildbegriffs, lässt also zum Bild werden, was im Bilde ist. Dieses „Arrangement“ ist seinerseits ein synthetisches Spiel, dessen Bestandteile einzeln, d.h. in bildanalytische Kategorien serienweise geordnet, vorliegen: Pinselstriche, Farbflecken, Linien …, wiederum jeweils bezeichnet mit statistischen Angaben ihres Gehaltes (Gewicht und Name des verwendeten Farbmaterials, Länge und Datierung des Auftrags), versammeln sich, akkurat elektronisch inventarisiert, im Archiv des Künstlers. Als jeweils für sich existierende, aber noch nicht zum gestalteten Bild gewordene ästhetische Bausteine können sie dem Archiv entnommen, aufgerollt, entfaltet, kombiniert oder für verschiedene Funktionen (die Farbflecken z.B. als Kopftücher, Untersetzer oder Papierflugzeug-Faltmodelle) verwendet werden. Sie sind für sich je „eine Form von Rohstoff, aus dem etwas bereitet werden kann, das Potenzial in sich trägt, aber nicht darüber hinausgeht“, sagt Marsteurer. Damit schafft der Künstler nicht zuletzt eine bisher kaum so präzise artikulierte Differenzierung zwischen zwei Hauptkomponenten künstlerischer/poietischer Artikulation: dem freien, offenen, „zufälligen“/zugefallenem (also rational/bewusstseinshaft nicht gesteuerten) Duktus hie und der Kombinatorik, Anordnung, Kontextualisierung (einer jedenfalls bildsprachlich/bewusstseinshaft überprüfbaren „Logik der Gestaltung“) da. Das heißt, dass weder ein reiner Automatismus, also eine primär subjektivisch generierte Artikulation/Sensation, noch eine auf primär wissenschaftslogisch-rationalem Denken basierende Äußerung der Kategorie „Kunst“ Genüge leistet – wenn auch beide Pole sich einer „ästhetischen“ Formulierung bedienen mögen. „Ästhetik“, präzisiert Joseph Marsteurer, „ist der Schnittpunkt zwischen sinnlicher Wahrnehmung und analytischem Erfassen. Nicht in der sinnlichen Wahrnehmung liegt das ästhetische Moment, sondern in den Strukturen, die eine punktuelle Verknüpfung zwischen beiden Polen ermöglichen bzw. vereiteln.“ Zurück noch einmal zu den „Rohstoffen“: diese sind per se noch nicht das, was sie werden könnten, wenn sie Verbindungen eingehen. Im traditionellen Bild nehmen wir diese Rohstoffe als solche auch kaum wahr, sie ordnen sich einer „höheren“ Bildordnung unter. Es gab (und gibt) in der Kunstgeschichte zumindest seit der frühen klassischen Moderne allerdings Tendenzen, einzelne Elemente des Bildgefüges isolatorisch zu behandeln, d.h. bestimmte „Rohstoffe“ herauszudestillieren und mit ihnen neue, bis dahin ungesehene Bilder zu schaffen. Eine Art Urknallfunktion für das Freimachen solcher Bild-Teile übte die Sprengung des mimetischen, durch die perspektivisch-(fotografische) Sicht auf die Dinge zusammengehaltenen Blicks aus, wie sie insbesondere im frühen Kubismus vollzogen wurde. Ganze Ismen basieren auf der formalen kubistischen Zerklitterungstechnik der „realen“ Erscheinung (Suprematismus, De Stijl, Orphismus, Kinetismus …) oder nützten sie zur Optimierung ihrer Intentionen (Kubo-/Futurismus, Konstruktivismus …). Farbe, Fläche, Linie, Transitorik, Licht, Klang etc. etc. konnten jetzt eigenständige Bild“themen“ sein, die nicht selten auch in anderen Medien (Skulptur, Objekt, Fotografie, Film, Architektur …) weiterdekliniert wurden. Betrachtet man die Kunst des 20. Jahrhunderts allein unter dem Gesichtspunkt solcher Destillate, zeigt sich ein doch erstaunliches Spektrum an Ergebnissen einer großen „Bildanalyse“.2 Diese „Analyse“ geschah allerdings ohne ein den daran beteiligten KünstlerInnen gemeinsam zugrundeliegendes Ziel oder eine gemeinsame Theorie und sie geschah vor allem auch primär mit den Mitteln der künstlerischen Sprache; sie lässt sich daher auch nur im Nachhinein als eine „Analyse“ beschreiben. Wenn Joseph Marsteurer hingegen mit wissenschaftlichen Methoden an der Freilegung und Archivierung bildnerischer „Rohstoffe“ arbeitet und dabei zugleich ästhetische Praxis betreibt, scheint er eine neuartige Methode zu entwickeln, dem „Phänomen Kunst“ näher zu kommen – eine Methode, die nicht allein sinnliches mit rationalem „Denken“ vereint, sondern auch Praxis mit Theorie. Peter Weibel hat in Reflexion auf die sich wandelnde künstlerische Praxis (vor allem im Zuge der Entwicklung neuer Medien) einmal auf die Unzulänglichkeit bestehender ästhetischer Theorien hingewiesen und folgenden Vorschlag gemacht: „Für mich waren nur bestimmte Teile der [künstlerischen] Praxis mit der [Kritischen] Theorie in Einklang zu bringen. Die andere Möglichkeit wäre, anstelle der historischen Theorie eine rein technische Beschreibung vorzunehmen, um den operativen Vorgang des Kunstwerks im technisch gesellschaftlichen Dispositiv ans Licht zu bringen.“3 Auch darum nämlich dürfte es Joseph Marsteurer gehen: nicht „allein“ also um das Bild-Immanente, sondern vor allem um die Frage nach ästhetischer Wahrnehmung im Verhältnis zu der (sich wandelnden) Gesellschaft, denn: „ästhetische Normen einer Gesellschaft geben auch Aufschluss über deren Selbstverständnis als Gesellschaft.“ (J.M.). Mit Spannung ist zu erwarten, was Marsteurers künstlerische Forschungsarbeit noch an Erkenntnissen einbringen wird!

Martin Prinzhorn

Das Misstrauen gegenüber dem Medium Malerei ist immer dann besonders gerechtfertigt, wenn es implizit oder explizit als Reaktion auf andere künstlerische Praktiken und Programme verstanden wird. Dies ist meistens in Perioden wie der gegenwärtigen der Fall, wenn das Medium in Ausstellungen und am Markt besonders erfolgreich ist. Dann stellt sich dumpfe Reaktion schnell ein und in der Analyse führen jene das Wort, die am liebsten die späte Moderne und die darauf folgenden künstlerischen Programme vergessen machen wollen. Die Glücksgefühle, die sich dann einstellen, sehen die glücklich verehrte Gegenwartsproduktion letztendlich doch nur als Symptom einer vergangenen Kunst und ein derart selektives historisches Bewusstsein führt in letzter Konsequenz zu einer merkwürdigen Art von Geschichtslosigkeit. Auch in der Kunst sind die Abläufe kontinuierliche und verschiedene, distante Momente miteinander in eine Beziehung zu setzen ergibt noch keine Geschichte. Dies kann für gegenständliche genauso wie für ungegenständliche Malerei gelten, im letzteren Fall bedeutet nämlich auch eine Ausblendung einer stattgefundenen Abstraktion, die eine Wiederholung des Prozesses durch die veränderten Vorzeichen ja unmöglich macht, auch einen Verlust der Geschichte. Malerei ist so zu einer Bühne geworden, auf der nicht sonderlich viel Platz ist und auf der man sich nur unter Einbeziehung der analytischen Prozesse, die ihre Geschichte reflektieren, bewegen kann. Joseph Marsteurer ist sich dieser Problematik der gegenwärtigen Malerei sicherlich bewusst. Oft schon an der Grenze zu einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung reflektiert er über das Medium Malerei in einer Art und Weise, die nicht von oberflächlicher Affirmation und auch nicht von salopper Distanz geprägt ist, sondern dem genuinen Interesse entspringt, das Medium zu verstehen und über dieses Verständnis voranzutreiben. Im Unterschied zu anderen Künstlern und Künstlerinnen ist sein Ausgangspunkt dabei nicht ein primär historischer, sondern konzentriert sich zunächst auf die grundlegenden Eigenschaften des Mediums und auf seine Bestandteile wie Leinwand, Farbe, Pinsel, räumlicher Kontext und Bildidee. Diese Gewichtung heißt aber nicht, dass die historische Dimension nicht auch ins Bild rückt, da die Untersuchung der Eigenschaften des Mediums auch immer eine zeitliche Dimension aufzeigt. Zentraler Untersuchungsgegenstand ist etwa die Frage nach der Materialität des Bildes. Diese Frage ist natürlich historisch sehr belastet, da in der Geschichte der modernen Malerei immer wieder ein Zusammenhang zwischen Abstraktion, also Gegenstandslosigkeit und dem reinen Bild, also Materielosigkeit hergestellt wurde. Dieser Ideologie des reinen Bildes, die auch eine grundlegende Grenze zwischen Bild und Skulptur ziehen will, ist schon seit der minimalistischen Malerei immer wieder widersprochen worden, indem die Stofflichkeit der Farbe ins Zentrum gerückt wurde oder das Bild selbst zur Skulptur bzw. zum Teil dieser wurde. Marsteurer lässt sich hier weder auf die eine noch auf die andere Position ein, da er die Frage gleichsam aus dem Bild herauslöst. Die Farbe taucht in Form von Pinselstrichen auf transparentem Material auf, datiert, mit einer genauen Beschreibung versehen und vor allem mit einer genauen Größen- und Gewichtsangabe. Hier entsteht ein interessanter Widerspruch: Einerseits ist das Material ja aus dem Bild entfernt und wir können das Bild so gewissermaßen ohne Material denken, andererseits ist aber der Hinweis auf die Materialität überdeutlich, die physikalischen Eigenschaften des Bildes werden auf einer anderen Ebene nochmals dokumentiert. In den Objekten verweist die Transparenz der Folien, auf denen die Pinselstriche aufgetragen sind, auf Materielosigkeit, die Farbe selbst wieder in die andere Richtung. Bild als Idee und Bild als Objekt werden so von Marsteurer in ein im Grunde genommen unauflösliches Verhältnis gesetzt, keine Seite ist auf die andere reduzierbar, es ist die dynamische Relation, die die Eigenschaft von Bildern determiniert. Diese Unauflöslichkeit geht über die Frage der Objekthaftigkeit des Bildes hinaus und kann auch auf das Verhältnis von (konzeptuellem) Inhalt und Form des Kunstwerks ausgedehnt werden. Malerei wird so auch über ihre Grenzen hinaus reflektiert und so entsteht ein Diskurs, der der eingangs erwähnten Ideologie von Malerei als Alternative zu den anderen künstlerischen Praktiken klar widerspricht. Eine andere Dimension dieser Arbeiten betrifft das Gedächtnis der Malerei: Mit den Arbeiten werden an der Oberfläche keine Bilder archiviert, sondern Fragmente, die ihren Kontext scheinbar verlassen haben. Die Pinselstriche sind Fragmente, die aber immer auf ihre Umgebung verweisen, da die transparenten Folien und die Art der Präsentation nicht genügend Unterlage oder keinen Rahmen für sie bilden. So fängt der Künstler keine spezifischen Bilder ein, sondern löst beim Betrachten dieser Arbeiten eine Menge möglicher Bilder aus, die sich in einem Fluss durch vergangene Eindrücke bewegen. Die Ordnung, die mit dem Modus Bild üblicherweise einhergeht, wird aufgegeben. Letztlich ist dies eine Verfahrensweise, die einen engen Bezug zur minimalistischen Malerei und den mit ihr verbundenen Problematiken aufweist. Wurde dort die Autonomie des Bildes durch den (möglichen) Verweis auf die Inszenierung, den performativen Charakter der mit Frieds Terminus Theatralität gemeint ist, hinterfragt, löst Marsteurer die letztendlich immer vorhandene Bühne des Bildes (ein Stück Leinwand in einer zweidimensionalen Form, auf der sich Farbe oder auch keine befindet) auf. Anstatt eine Bühne um das Bild aufzubauen, werden nicht nur die Bretter demontiert, sondern gleich der Keilrahmen, die Leinwand und die Farbe mit. Das Archiv ist also mehr als bloße Gedächtnisstütze, es macht durch seine Losgelöstheit starre Kontexte auf und weist so wiederum auf ein Grundmotiv des Künstlers, auf die Annäherung an eine Bildbegrifflichkeit, die sich aus einer fließenden Dynamik konstituiert. Auch die großen Bildinstallationen folgen dieser Logik. Hier geht es um Grenzziehungen: An welchem Punkt entsteht das Bild und an welchem Punkt hört das Bild auf? Wir kennen Arbeiten, in denen es um den Bereich zwischen Bild und Installation geht, in denen also das Bild in seiner räumlichen Verankerung angesprochen wird. Die dort übliche Strategie ist, dass das Bild aus sich herauswächst und so diese Verankerung verdeutlicht. Bei Marsteurer sind die Strategien etwas komplexer: Der Weg führt nicht nur aus dem Bild heraus, sondern auch ins Bild hinein. Die kubische Struktur aus Holzlatten erweitert den Keilrahmen nicht nur, sie grenzt das Bild auch ein. Die Fragmente auf der Leinwand treiben das Spiel von Erweiterung und Einengung auf der Leinwand nochmals voran. Der Künstler nimmt das Bild im Zentrum nicht als Ausgangspunkt seiner Überlegungen, von allen Seiten und in allen Dimensionen, werden Querverweise erstellt, die eine offene Situation erzeugen, in der nichts an der Wand hängt oder im Raum steht. Was sichtbar ist, ist wiederum ein Prozess, in dem malerische Praxis und der aus ihr entstehende Bildbegriff hinterfragt werden. Bild und Plan des Bildes werden ununterscheidbar. In seiner Grazer Installation hat der Künstler diese Ununterscheidbarkeit noch einen Schritt weiter gebracht, da dort das Bild nur mehr als Illusion im Raum steht, das Medium wird so in einer funktionellen Weise verlassen, da die Inszenierung eher an optische Verfahren und deren Effekte erinnert. Formal verlässt Marsteurer aber die Malerei nie, dies wird vor allem im Spannungsverhältnis zwischen geometrischer Linie, gestischem Pinselstrich und Farbfleck sichtbar. Es werden dabei keine Behauptungen aufgestellt, sondern immer neue Sichtmöglichkeiten vorgeschlagen und so eine doch sehr offene künstlerische Praxis vorgeführt. Wo andere Künstler und Künstlerinnen mit Mitteln der Konzentration und Verdichtung arbeiten, kann man bei Marsteurer eher von Auslagerungen sprechen, wobei es dann die entstandenen leeren Stellen sind, die eine Konzentration im mentalen Sinne zur Folge haben. In einer sehr direkten Art wird diese künstlerische Strategie in seiner Serie Abbildnisse verdeutlicht. Das Präfix ‘ab-‘ wird hier in seiner negativen Lesart verstanden und der Künstler entwickelt eine Formensprache, durch die eine porträtierte Person gleichsam aus dem Bild hinausgerechnet wird. Als photographische Vorlage dient ein Profilporträt, das ja im Unterschied zum Viertelprofil oder zum Frontalporträt in erster Linie ‚objektive’ Identifikationsmerkmale transportiert. Um darin definierte Punkte werden Kreissegmente situiert und so entstehen abstrakt wirkende Zeichnungen, aus denen die porträtierte Person schließlich eine auswählen muss. Es ist also nicht der subjektive Blick des Künstlers, sondern der subjektive Blick der porträtierten Person, der das Bild fertig stellt. Zwischen Inhalt und Auge des Betrachters liegt ein konzeptionelles Verfahren, das eine maschinenhafte Objektivität andeutet, die sich aber letztlich wie jedes technische Medium als Mythos erweist. Die abstrakte Form wird wiederum personifiziert; was aus Erkennungsmerkmalen wie ein Kode errechnet wurde, wird von keiner Maschine, sondern von der Person, die Ausgangspunkt für den Kode war, aufgrund ihrer ästhetischen Präferenzen, also auf einer ganz anderen Ebene der Identifikation, wieder ins Bild gebracht. Auch in diesen Arbeiten wird klar, wie bewusst Marsteuer mit der Entwicklung und Geschichte der Malerei umgeht. Das spätmittelalterliche Portrait konnte zur Identifikation der abgebildeten Personen gar nicht herangezogen werden, erst die Profildarstellung hat dies verändert und die Abstraktion der Moderne hat die Identifikation nochmals in den Hintergrund gerückt. Die technologischen Medien haben das Bild schließlich gänzlich überflüssig für die Identifikation gemacht, es geht tatsächlich nur noch um Punkte, das Ganze bleibt im virtuellen Raum. Diese Erkenntnisse werden vom Künstler in eine Entstehungsdynamik eingebracht, in der es aber immer um das Bild und seine Geschichte geht. Das Vorgehen des Künstlers ist hier immer ein sehr behutsames: Die Dinge werden in immer neuen Konstellationen miteinander abgewogen und in Beziehung gesetzt und ohne eine Analyse auf der Seite des Betrachters werden die Bilder erst gar nicht sichtbar. Ist die Arbeit aber dann getan, weiß man, dass Malerei ein sehr lebendiges Medium ist.